Tausende von Flüchtlingen warten am Wiener Hauptbahnhof auf ihre Weiterreise. Menschen, wie du und ich. Ich war für texted.ch vor Ort um zu helfen und zu verstehen.
Je näher ich dem Bahnsteig kam der noch Tags davor von hunderten Flüchtlingen als Zufluchtsort gedient hat, desto beklemmender war das Gefühl in mir das mich bis zu meinen Erzählungen über den Tag nicht mehr loslassen sollte.
Je näher ich dem Bahnsteig kam der noch Tags davor von hunderten Flüchtlingen als Zufluchtsort gedient hat, desto beklemmender war das Gefühl in mir das mich bis zu meinen Erzählungen über den Tag nicht mehr loslassen sollte.
Mit dem Gedanken ein paar Sachspenden vorbeizubringen und
mich als Dolmetscherin anzubieten fuhr ich am Montagvormittag mit einem großen
Sackerl von Vero Moda in der Hand zum Wiener Hauptbahnhof. Mein Ziel waren die
Gleise 11/12, die beim Treppenabgang zu den übriggebliebenen Flüchtlingen
führten.
Als ich die letzte Stufe zum Abgang erreichte, konnte ich
erst das ganze Geschehen erfassen das auf mich wartete. Obwohl die ersehnten
Züge die vor einigen Stunden aus Ungarn abgefahren waren nicht in Wien
angekommen sind, waren immer noch viele Flüchtlinge anzutreffen. Niemand wusste
was mit diesen Zügen passiert war, allerdings habe ich die Besorgnis aus den
Gesichtern der Flüchtlinge als auch aus den Augen der freiwilligen Helfer lesen
können. Ich fühlte mich unter dem ganzen Gewusel ziemlich fehl am Platz –
immerhin war ich weder eine Flüchtige noch habe ich mich als freiwillige
Helferin gemeldet. Die Situation schüchterte mich ein und ich wusste erstmal
nicht wo ich anfangen sollte. Bis ich einen jungen Mann alleine auf einer Bank
sitzen sah, die gerade noch so für ein kurzes Gespräch bequem war. Sein
gesenkter Kopf wurde zur Hälfte von einem dieser Telefone, die man auch aus den
Telefonzellen kennt, verdeckt aber seine Körperhaltung war gerade. Fast so als
ließe er sich nicht unterkriegen.
Zaher, der Name des dreiundzwanzigjährigen Manns, hob seinen
Kopf ein Stück als ich direkt vor ihm stehen blieb. Zuerst wusste ich nicht, ob
er ein Helfer oder ein Flüchtling war. Er sieht nicht wie ein typischer
Flüchtling aus, dachte ich kurz bei mir. Zaher hatte ein Hemd unter einem Pulli
an und darüber trug er eine viel zu große Weste die er wahrscheinlich von den
Spenden erhalten hatte. Doch in seinen Augen erkannte ich die unglaublich tiefe
Trauer eines Geflohenen – auch wenn er höflich lächelte. Anders als die anderen
Flüchtlinge schien ich ihn nicht sehr zu stören, also nahm ich neben ihm Platz
und erklärte ihm, dass ich Journalistin sei. Auf meine Frage nach einem
Interview bejahte Zaher sofort und begann mit seinem Namen. My name ist Zaher,
sagte er, woraufhin ich ihm meine Hand hinstreckte und sagte, dass ich Rhea
heiße. Er erzählte mir, dass er aus Damaskus in Syrien kommt und dort fünf
Jahre lang Business Administration studiert hat. Nun war es sein Ziel nach Großbritannien
zu fahren, wo sein Onkel auf ihn warte und wo er weiterstudieren möchte. Doch
er ist sich nicht sicher, ob er diesen Weg wirklich beenden kann. Zaher war
vollkommen allein auf der Flucht in einem fremden Land und ich musste darüber
nachdenken, wie stark ich mit meinen sechsundzwanzig Jahren in dieser Lage
wäre. Auf meine Frage hin wie es ihm denn nun geht, obwohl das in dieser
Situation doch eine sehr makabre Frage war, antwortete er höflich, dass er sich
endlich sicher fühlte. In diesem Moment lächelte er wieder, doch seine Augen
hätten nicht betrübter, ängstlicher und trauriger sein können.
Aus kurzen Gesprächen mit freiwilligen Helfern und einigen
Flüchtlingen erfuhr ich, dass der Bahnhof Tags zuvor noch steckend voll war.
Immer wieder trafen Züge mit unzähligen Flüchtlingen ein, die einfach nur
glücklich waren aus Ungarn entkommen zu sein.
Adel hat eine Glatze, einen Bart wie so mancher Hipster
heutzutage und einige Piercings. Auch kein typischer Anblick für einen
Flüchtling, dachte ich mir. Doch damit schloss ich endgültig meine Vorurteile
in eine winzige Kiste und versteckte sie in meinem Hinterkopf so, dass ich sie
selbst hoffentlich nie wieder finden würde. Der junge Mann kam ebenfalls aus
Syrien und wusste anfangs nicht was ich von ihm wollte bis ich ihm sagte, dass
ich gerne einen Bericht über die Situation hier schreiben möchte, woraufhin er
bereit war mir meine Fragen zu beantworten. Als wäre es selbstverständlich. Ich
begann auch hier mit dem Namen und streckte ihm zur Begrüßung meine Hand hin. Als
er mir meine Frage nach seinem Alter mit zweiundzwanzig beantwortete,
wiederholte ich die Zahl nochmals fragend. Er sah mich etwas entrüstet an und
fragte: Sehe ich denn älter aus? Vielleicht ist es der Bart, antwortete ich
neckend. Er sei schon seit Samstag in Wien, berichtete er, und fühlte sich
soweit sicher wie er sich eben sicher fühlen konnte. Nicht, dass er seit seiner
Flucht jede Sekunde um sein Leben fürchten musste, jedoch möge er die
Mentalität und vor allem die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der
Österreicher, weshalb er sich sehr wohl fühle. Auch er wollte nach Großbritannien
– genau genommen England. Dort lebt sein Vater den er seit vier Jahren nicht
mehr gesehen hat, doch habe er nicht die Möglichkeit legal zu ihm zu kommen
weil er schon volljährig sei, erzählte er mir. Adel hat einen Plan B. Falls es
nicht mit England funktionieren sollte, will der junge Mann nach Holland reisen
wo ebenfalls Familie und Freunde auf ihn warten, denen er aber nicht so nah
stand. Deshalb möchte er alles tun um zu seinem Vater nach England zu kommen –
auch, weil er sehr gut Englisch sprechen konnte und somit nicht zwingend eine
neue Sprache lernen müsste. Ich hörte Adel genau zu während ich mit gesenktem
Kopf meine Notizen auf meinem Block niederschrieb, als er plötzlich inne hielt
bis ich ihn ansah. Willst du die ganze Geschichte von Anfang an erfahren?,
fragte er.
Die Tortur begann in Izmir. Adel, einige Menschen aus seiner
Familie und auch Unbekannte bildeten eine Gruppe von fünfundfünfzig Menschen
die in ein Schlauchboot, das für höchstens dreißig Leute genug Raum bot,
zusammengepfercht wurden. Es schien dem jungen Mann damals sehr riskant, aber
er hat es einfach auf sich genommen. Er hatte keine andere Wahl.
Aufeinandergestapelt wie Legosteine fuhr das Boot geschätzte hundert Kilometer
über das Wasser bis um zwei Uhr früh das Unglück passierte. Das kleine Boot
hatte ein Leck und der Boden begann sich schnell mit eisigem Salzwasser zu
füllen. Alle Menschen um Adel herum, und auch ihn selbst, ergriff Panik. Doch
der junge Mann versuchte die anderen Menschen zu besänftigen indem er auf
Arabisch und Englisch zu ihnen sprach. Er rufe sofort die Küstenwache, rief er
in die chaotische Szenerie. Doch das hielt fünf Menschen nicht davon ab gegen
ihren Überlebensinstinkt zu agieren und in das schwarze, tiefe Wasser zu
springen. Die Rettung kam in Form von einem Hubschrauber und einigen Booten,
die von der Küste von Samos unterwegs waren. Adel versuchte den Polizisten auf dem
Festland Auskünfte über die anderen fünf Personen zu geben, die vom Boot
gesprungen waren doch nur vier wurden gerettet. Die fünfte Person war ein
ungefähr zwölfjähriger Junge, der nicht mehr gefunden werden konnte.
Von Tessaloniki begann ein harter Fußmarsch für Adel und
seine inzwischen über fünfhundert Leidensgenossen. Der junge Mann mit
Knochenkrebs, der immer einen kleinen Rucksack mit Schmerztabletten und anderen
wichtigen Dingen bei sich trägt, marschierte geschätzte sechs Kilometer in der
prallen Sommersonne mit seiner Gruppe auf Zuggleisen um nach Mazedonien zu
kommen. Durch zwei Holzpfosten, die einen Durchgang darstellen sollten, wurden
die Flüchtlinge von Polizisten hindurchgezwängt wodurch Adel von seiner Familie
getrennt wurde. Die Polizisten waren mit Schlagstöcken, Tränengas und Waffen
mit Gummigeschossen ausgerüstet und weil der junge Mann nicht wollte, dass die Polizisten
eines der Dinge einsetzt versuchte er auch hier die Leute zu besänftigen, denn
zur Warnung schlug die Polizei mit den Schlagstöcken auf ihre Schilder. Anstatt
also stehenzubleiben und um Einlass zu bitten sollten sich die Menschen lieber
ruhig verhalten und sich auf den Boden setzten damit die Polizisten die
Flüchtlinge ohne Stress hindurchlassen konnten.
Adel zeigte mir viele Fotos und Videos die er mit seinem
Smartphone auf seinem Weg nach Österreich gemacht hat. Unverfälscht und
kommentarlos. Ich hatte keine Worte für die Dinge, die er mir zeigte und
schüttelte die ganze Zeit nur mit dem Kopf während ich kurz mit der Zunge
schnalzte – ein Laut, der im Mittleren Osten überall dasselbe bedeutet: Unglauben.
I know, sagte Adel bloß auf mein Schnalzen.
Auf dem Weg nach Serbien wurde Adel ein weiteres Mal
eingepfercht, doch diesmal in einen Zug. Die Menschen waren aneinandergedrängt
und standen stundenlang in den engen Gängen, denn Sitzplätze waren längst
belegt. Weiter sollte es nach Ungarn gehen aber Adel war fest entschlossen
seine Fingerabdrücke nicht der ungarischen Regierung zu schenken. An der Grenze
traf er drei seiner Freunde die er auf der Flucht verloren hatte. Auf ihren
Bäuchen und in geduckter Haltung schlichen die Freunde durch ein geschätztes
ein Kilometer langes Maisfeld über die Grenze, während sie mit dem GPS auf
ihren Smartphones eine Tankstelle ansteuerten. Kurzzeitig, erzählte Adel,
wurden sie von Irakis mit Messern bedroht und obwohl Adel und seine Freunde um
ihr Leben fürchten mussten, schafften sie es zur Tankstelle an der ebenfalls
Taxis standen. Eines davon brachte die Männer nach Budapest, doch auch da mussten
sie vorsichtig sein, dass die Polizei sie nicht erwischte. Endlich angekommen
kauften sich Adel und seine Freunde Tickets nach München, denn viel zu spät
haben sie davon erfahren, dass für sie die Zugreise nach Wien gratis war.
Während sie auf die Abfahrt warteten wollten die Männer in einem Hotel
absteigen wo Leute wegen Platzmangel schon auf den Gängen schliefen. Aber dann
fanden sie doch ein Zimmer für vier Personen. Und dann war Adel auch schon in
Wien.
„That’s how I came to Vienna“, sagte er und lächelte. Adel
hatte an diesem Tag ein Lachen, das auch seine Augen erreichte und mir zeigte,
dass es doch auch etwas Schönes in diesem trostlosen Bahnhofabgang gibt.
Während der junge Mann mir seine Geschichte erzählte, hatte sich ein älterer
Mann zu uns gesetzt, der sich als Adels Onkel herausstellte. Also hat Adel
wieder zu seiner Familie, oder zumindest zu einem Teil davon, gefunden. Sein
Onkel begrüßte mich mit einem herzlichen Handdruck, indem er meine Hand in
seine beiden nahm und freundliche Worte zu mir sprach, die ich trotz meines
Persisch-Könnens nur erahnen konnte. Ich fühlte mich plötzlich richtig wohl,
denn der alte Mann erinnerte mich an den persischen Teil meiner Familie.
Adels Antwort auf meine Frage, was sein größter Wunsch wäre,
war, dass er bloß nach England wolle. Beim Verabschieden sagte ich noch zu
Adel: Stay strong!, und gab ihm und seinem Onkel einen Händedruck der mehr
bedeuten sollte als ich zu sagen hatte.
© Rhea Schlager
Es ist unglaublich was diesen Menschen passierte und leider noch immer passiert. Bin aber immer auch über diese traurigen Geschichten froh, denn damit bekommen Flüchtlinge ein Gesicht. (oft sieht man ja nur eine abgekämpfte Menschenmenge)
AntwortenLöschenDanke schön!
Vielen Dank für deine Worte!
LöschenDer Beitrag hat mir sehr gefallen.
AntwortenLöschenDanke dafür.
Leider gibt es davon viel zu wenige.
greetings